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Freizeitschifffahrt und Fischbestände

5300 Kilometer Flussstrecke der Bundeswasserstraßen sind laut Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit ohne Bedeutung für Güteverkehr. Das Potenzial der Flüsse soll gemäß Wasserrahmenrichtlinie dazu genutzt werden, zur Entwicklung der biologischen Vielfalt beizutragen. Bundeswasserstraßen sollen dafür renaturiert werden und mit ihren naturnah entwickelten Flussauen einen Biotopverbund von nationaler Bedeutung bilden.

Bei den Maßnahmen zur Verbesserung der Strukturvielfalt und Eigendynamik der Gewässer wird auch immer an Synergien mit Wassertourismus, Freizeitsport und Erholung am Wasser gedacht und an den Erlebniswert der Natur sowie eine nachhaltige touristische Entwicklung für die Region. Besonders an Gewässern mit hoher Nutzung durch Fahrgast- und Freizeitschifffahrt soll der Wassertourismus weiter gefördert werden.

In einer wissenschaftlichen Untersuchung sind Petr Zajicek und Christian Wolter der Frage nachgegangen, inwieweit sich die ökologische Aufwertung eines Gewässers mit der Förderung seiner touristischen Nutzung durch Schifffahrt verträgt. Die Notwendigkeit, die ökologische Auswirkung der Erholungs- und Freizeitschifffahrt zu erfassen und zu verstehen, ergibt sich, so die Wissenschaftler, u.a. aus den beachtlichen Zuwachsraten, die in diesem Sektor zu verzeichnen sind. Die Anzahl der Passagierschiffe hat sich in den letzten Jahren europaweit deutlich erhöht. Noch stärker gestiegen ist die Anzahl der Passagiere im Wassertourismus.

Vorbeifahrende Schiffe erzeugen Sog und Wellenschlag, wodurch sie erhebliche Auswirkung auf Uferzonen und dort lebende Organismen haben. Gerade Sportboote erzeugen dabei kräftige Wellen, die das Ufer mit voller Stärke treffen. Dadurch können aquatischen Organismen wie Fischen wichtige Habitate entlang der Ufer und Flachwasserzonen verloren gehen, die für die Reproduktion, das Laichen und das Aufwachsen von Larven und Jungfischen von essenzieller Bedeutung sind. Darüber hinaus können Larven und Jungfische durch schifffahrtsbedingte Strömungen aus ihren Lebensräumen verfrachtet oder gar an Land geschwemmt werden, was zum Anstieg der Mortalität führt.

Die durchgeführte Untersuchung von Zajicek und Wolter beruht auf der Zusammenstellung von Datensätzen. Dabei wurden die Daten von 2693 Befischungen in 358 Flussabschnitten von 16 großen europäischen Flüssen ausgewertet. In einem weiteren Schritt wurden Daten zur Schiffsfrequenz von der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes ausgewertet. Dabei wurden die Ergebnisse der Befischungen mit den für die Probestrecken ermittelten Schifffahrtsfrequenzen zusammengestellt.

In einem ersten Datensatz wurden Befischungen in den Flüssen Elbe, Havel und Oder ausgewertet und mit den Daten zum Schiffsverkehr verglichen. In einem weiteren umfangreichen Datensatz wurden Befischungen und Schifffahrtsfrequenzdaten im Rhein betrachtet. In separaten statistischen Modellen wurde der Einfluss der jeweiligen Schiffstypen auf die Fischdichten berechnet.
Mit den Untersuchungen wurde weltweit erstmals der Einfluss der Erholungs- und Freizeitschifffahrt unter Praxisbedingungen quantifiziert. Dabei wurde deutlich, dass die Erholungs- und Freizeitschifffahrt, motorisierte Sportboote und Fahrgastschiffe zu ökologischen Konsequenzen führen, die sich in einem signifikanten Rückgang der Anzahl von Fischen in Wasserstraßen manifestiert. Am stärksten werden dabei die auf Kiessubstrate spezialisierten Fische beeinflusst.

Die Erholungs- und Freizeitschifffahrt hat ihren Höhepunkt in den Frühjahrs- und Sommermonaten, also genau dann, wenn sich viele Fische fortpflanzen, die Larven schlüpfen, Fischbrut und Jungfische aufwachsen und dabei auf den Schutz von ungestörten Flachwasserlebensräumen entlang der Ufer angewiesen sind. Der mögliche Einfluss der Erholungs- und Freizeitschifffahrt auf die Fischfauna ist deshalb besonders hoch.

Eine Förderung von Wassertourismus und Freizeitsport würde unweigerlich zu einem Anstieg von Erholungs- und Freizeitschifffahrt führen und damit den ökologischen Zustand von Wasserstraßen wahrscheinlich eher verschlechtern als verbessern, denn Fische vertragen keine Erholungs- und Freizeitschifffahrt.

Aber nicht nur Fische, auch viele weitere Lebewesen, andere Wirbeltiere und Insekten, die auf die flachen Uferzonen von Fließgewässern angewiesen sind, werden durch den Wellenschlag des Schiffsverkehrs beeinflusst.

Eine gesonderte Berücksichtigung der Erholungs- und Freizeitschifffahrt im Rahmen der Revitalisierung von Nebenwasserstraßen ist daher von zentraler ökologischer Bedeutung für die Erreichung europäischer Umweltziele.

Bei der Statuskonferenz zum Bundesprogramm „Blaues Band Deutschland“ im Juni 2019 in Berlin wurde deutlich, dass Nebenwasserstraßen vorwiegend als touristisch nutzbare Wasserstraßen betrachtet werden und weniger als ökologisch bedeutende Fließgewässer, Naturräume und Lebensräume für aquatische Organismen. Ein Ungleichgewicht zwischen ökonomischen und ökologischen Interessen war dabei nicht zu übersehen. Deshalb muss man sich ernsthaft um den nachhaltigen ökologischen Erfolg der Flussrevitalisierung sorgen. Dabei sind es gerade die Umweltziele, die durch die europäische Gesetzgebung definiert und verbindlich zu erreichen sind.

 

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