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Niedersachsens Fische gefährdet durch Klimakrise und menschliche Eingriffe

05.10.2023

In einer gemeinsamen Presseinformation haben der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) und das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) auf die Bedrohung der Fische in Niedersachsen durch die Klimakrise und menschliche Eingriffe in die Lebensräume der Fische aufmerksam gemacht.
Die Fischfauna der niedersächsischen Binnengewässer ist demnach durch massive Veränderungen ihrer Lebensräume gefährdet. Gründe sind langjährige menschliche Eingriffe und die zunehmenden Auswirkungen der Klimakrise. Die Hälfte aller Arten ist gefährdet oder bereits in der Vergangenheit ausgestorben. Dies verdeutlicht eine neue Rote Liste, die im Rahmen der Umsetzung des Niedersächsischen Weges durch den NLWKN und das LAVES herausgegeben wurde.

Die neue, im September 2023 erschienene dritte Fassung der Roten Liste dokumentiert die aktuelle Gefährdungssituation der in niedersächsischen Binnengewässern vorkommenden Fische, Rundmäuler und Krebse. Von den aktuell vorkommende 77 Arten bzw. Ökotypen wurden 51 in der vorliegenden Roten Liste bewertet.

„Drei Wanderfischarten, darunter der Atlantische Stör, gelten trotz gezielter Maßnahmen zur Wiederansiedlung als ausgestorben, weitere 22 Arten sind in ihrem Bestand gefährdet oder extrem selten", betont Lutz Meyer, Leiter des Dezernats Binnenfischerei -Fischereikundlicher Dienst im LAVES. „Damit steht rund die Hälfte der Arten auf der Roten Liste." Zudem sind acht weitere Arten in die Vorwarnliste aufgenommen, nur ein Drittel ist aktuell ungefährdet.

„Rote Listen als Verzeichnisse ausgestorbener, verschollener und gefährdeter Tier-, Pflanzen- und Pilzarten sind ein wichtiges Instrument des Naturschutzes", ergänzt Berthold Paterak, Leiter des Geschäftsbereichs Naturschutz im NLWKN. „Im Rahmen des Niedersächsischen Weges wurde die Verpflichtung zu ihrer Erstellung in das Niedersächsische Naturschutzgesetz aufgenommen und wird nun konsequent durch die Landesregierung umgesetzt."

„Das Artensterben unter der Wasseroberfläche ist uns viel weniger präsent als beispielsweise der Rückgang der Insekten. Es ist aber nicht weniger dramatisch. Weltweit ist ein Drittel aller Süßwasserfischarten vom Aussterben bedroht. Der Fischartenschutz ist nur möglich, wenn wir die aquatischen Lebensräume schützen - und damit sind nicht nur direkte Maßnahmen an den Flüssen und Gewässern gemeint. Wir müssen die Bewirtschaftung von landwirtschaftlichen Flächen, Wäldern und Mooren in den Gewässereinzugsgebieten anpassen, damit weniger Stoffe in die Gewässer eingetragen werden, die Fischen und anderen Lebewesen im Wasser schaden. Im Niedersächsischen Weg haben wir uns gemeinsam mit den Landwirtinnen und Landwirten dazu verpflichtet, den Gewässerschutz in der Fläche voran zu bringen. Wichtig dabei ist, dass die Betriebe für ihre Anstrengungen für dieses gesamtgesellschaftliche Ziel entschädigt werden. Das ist beispielgebend", sagt Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte.  

Umweltminister Christian Meyer erklärt: „Das Aktualisieren der Roten Listen ist wesentlicher Bestandteil des Niedersächsischen Weges. Ich danke LAVES und NLWKN für die umfangreichen Arbeiten. Sie zeigen die erschreckend hohe Bedrohung für Arten in unseren Gewässern. Viele Fischarten sind vom Aussterben bedroht oder haben sich im Bestand verschlechtert. Nur bei wenigen gibt es Verbesserungen. Mit den Gewässerrandstreifen, den vielen Maßnahmen zur Verbesserung der Gewässerqualität und Renaturierung im Rahmen der Wasserrahmenrichtlinie arbeiten wir intensiv an Verbesserungen für die Fisch-Lebensräume. Die Klimakrise und zunehmende Trockenheit verstärken die Gefahren für die Artenvielfalt in Gewässern. Für mich ist klar: Eine Bestandsaufnahme reicht nicht, wir brauchen dringend konsequenten Klima-, Gewässer- und Artenschutz."

Im Vergleich mit der letzten veröffentlichten Fassung der Roten Liste aus dem Jahr 1993 hat sich für insgesamt 26 Arten (51 %) eine Änderung der Gefährdungskategorie ergeben. Während 16 Arten (31 %) erfreulicherweise als geringer gefährdet eingestuft werden konnten, mussten zehn Arten (20 %) einer höheren Gefährdungskategorie zugeordnet werden. Gründe sind sowohl reale Veränderungen der Bestände als auch Kenntniszuwachs und eine veränderte Methodik.

Neben den drei ausgestorbenen Wanderfischarten gibt es negative Bestandsentwicklungen auch bei anderen Arten: Etwa beim Atlantischen Lachs, der Karausche, bei Stint (Binnenform), Zährte und Edelkrebs, deren Bestände teilweise bereits seit vielen Jahrzehnten anhaltend rückläufig und daher „vom Aussterben bedroht" sind. Zudem wird die Äsche aufgrund massiver Bestandsabnahmen insbesondere in der jüngeren Vergangenheit nunmehr in die Kategorie „stark gefährdet" hochgestuft. Weiterhin gibt die negative Bestandsentwicklung der in den Ästuaren von Elbe, Weser und Ems lebenden Massenfischarten mit ökosystemarer Bedeutung Anlass zur Besorgnis. Zu diesen Arten zählen Kaulbarsch (aktuell in die „Vorwarnliste" aufgenommen) sowie die wandernden Ökotypen von Stint und Dreistachligem Stichling (beide gelten als „stark gefährdet").

Demgegenüber gibt es auch positive Entwicklungen: Wels und Zander sind beispielsweise jetzt ungefährdet, weil ihre Bestände zugenommen haben, Groppe und Steinbeißer stehen nur noch auf der Vorwarnliste.

Notwendige Schutzmaßnahmen für die Fischfauna sind vorrangig die Sicherung und Entwicklung ihrer Lebensräume, insbesondere durch die konsequente Umsetzung der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie und der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. Zu den dringlichsten Maßnahmen gehören neben einer naturnahen Fließgewässer- und Seenentwicklung die Wiederherstellung der ökologischen Durchgängigkeit der Fließgewässer, die Anbindung und Entwicklung der Auen, ein an die Klimakrise  angepasstes Wassermanagement, die Verbesserung der Wassergüte und eine verstärkte Berücksichtigung des Fischartenschutzes bei der Gewässerunterhaltung.

„Ein besonderes Augenmerk muss auf die Verbesserung der Ästuare von Elbe, Weser und Ems als Lebensräume für Fische gerichtet werden", unterstreicht Lutz Meyer. Zudem seien die möglichen Auswirkungen gebietsfremder Fisch- und Krebsarten zu überwachen und Maßnahmen gegen deren weitere Ausbreitung zu treffen.

Neben den Umwelt- und Naturschutzverwaltungen können auch die Fischereiberechtigten durch geeignete Maßnahmen, wie etwa Habitatentwicklungen oder Wiederansiedlungsprojekte, entscheidend zur Förderung gewässertypischer Fischbestände sowie den Erhalt der natürlichen genetischen Vielfalt beitragen.

Rote Listen gefährdeter Arten werden seit 1960 von der International Union für Conservation of Nature and Natural Resources (IUCN) herausgegeben. In Deutschland erschienen sie erstmalig 1971. Rote Listen ermitteln und protokollieren den Gefährdungsstand von Arten und geben damit einen Einblick in den Stand der Biodiversität und möglichen Handlungsbedarf im Artenschutz.

Die Roten Listen gefährdeter Arten werden in Deutschland inzwischen nach einer bundesweit standardisierten Methodik aufgestellt. Die Arten einer Roten Liste werden in verschiedene Gefährdungskategorien eingeteilt: 0 - Ausgestorben oder verschollen; 1 - Vom Aussterben bedroht; 2 - Stark gefährdet; 3 - gefährdet; G - Gefährdung unbekannten Ausmaßes; R - Extrem selten. Neben den gefährdeten Arten gibt es eine Vorwarnliste sowie die ungefährdeten Arten.

Wesentliche Änderungen der aktuellen Roten Liste der Süßwasserfische gegenüber den vorherigen Ausgaben der Jahre 1981 und 1993 ergeben sich auch durch die Anwendung der standardisierten Methodik sowie die zwischenzeitlich erheblich vergrößerte Datenbasis.

 

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