Tod in den Turbinen
26.01.2022
Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) Berlin haben die globale Sterblichkeit von Fischen bei der Passage von Wasserkraftwerken untersucht. Die Auswertung und Ergebnisse beziehen sich auf Daten von mehr als 275.000 Fischen und 75 Fischarten. Das Ergebnis – jeder fünfte Fisch, der die Turbine einer Wasserkraftanlage flussabwärts durchquert, erleidet tödliche Verletzungen!
Speziell in Anbetracht der weltweit schwindenden fossilen Energieträger, steigt der Druck, den heutigen Strombedarf aus regenerativen Energiequellen zu decken stetig. Eine Form dieser regernativen Stromgewinnung ist die Wasserkraft. Zwar mag die aus Wasserkraft gewonnene Energie rein rechnerisch betrachtet regenerativ sein - die negativen ökologischen Effekte, die damit einhergehen, sind es nicht und bleiben meist unter der Wasseroberfläche verborgen. Durch den mit der Wasserkraft verbundenen Aufstau der Flüsse kommt es zu weitreichenden Veränderungen des Abflussgeschehens und der Flussmorphologie, zur Erwärmung der Gewässer, zur verstärkten Emission von Treibhausgasen sowie zum Verlust des Sedimenttransports und wichtiger Habitate. Darüber hinaus hinterlassen die Wasserkraftturbinen enorme Spuren an den Fischen, wenn diese versuchen flussabwärts zu wandern. Abrupte Druckänderungen, Kavitation, Turbulenzen und Scherkräfte innerhalb der Turbinen sowie physischer Kontakt mit den Schaufeln der Turbine enden für die Fische nicht selten tödlich. Fische können dem kaum ausweichen. Im Gegensatz zur Windkraft, bei der sich der Rotor frei in der Luft bewegt und umflogen werden kann, wird bei der Wasserkraft der Fluss, d.h. der gesamte Fisch-Lebensraum durch die Turbine gezwungen.
Aufgrund der unklaren Datenlage, wie viele Fische beim Durchqueren von Wasserkraftanlagen tödlich verletzt werden, hat Dr. Johannes Radinger (Erstautor der Studie) mit den Kollegen Ruben van Treeck und Dr. Christian Wolter alle verfügbaren und abgesicherten Daten und Studien hinsichtlich der Sterblichkeit zusammengetragen und analysiert. Neben der erstmaligen globalen Betrachtung der von Wasserkraftanlagen ausgehenden Mortalität auf Fische, wurden in der Auswertung ebenfalls die Unsicherheiten bezüglich des Fisch Handlings sowie methodischer Unterschiede der Fischbestandsaufnahmen der einzelnen Studien berücksichtigt.
Das Forscherteam kam zu dem Ergebnis, dass global mehr als jeder fünfte Fisch (22,3%) beim Passieren einer Wasserkraftturbine tödliche Verletzungen erleidet. Somit ist die Wasserkraft mit ihren über 21.000 Anlagen in Europa als eine maßgebliche Ursache für den Rückgang von Wanderfischarten zu sehen. Aufgrund der Tatsache, dass in den meisten Flüssen mehrere solcher Anlagen stehen, sind die kumulativen Auswirkungen auf die Wanderfischbestände in der Realität noch höher anzusiedeln.
Eine Mortalitätsrate von 22,3% über alle Anlagen und Konstellationen, unabhängig von der Anlagengröße sind auch deshalb bedeutsam, weil z.B. in Deutschland nur 436 Anlagen mit einer installierten Leistung ≥1 MW 86% des Stroms aus Wasserkraft produzieren. Die große Anzahl der kleineren Wasserkraftanlagen produziert bei gleicher durchschnittlicher Fischsterblichkeit zusammen nur einen Bruchteil des Stroms. Zudem sind die meisten der geschätzten 7.400 Anlagen der kleinen Wasserkraft in Deutschland aus umweltverträglicher Sicht hoffnungslos veraltet und mit vertretbarem Aufwand kaum zu modernisieren. Für die Zielerreichung von Wasserrahmenrichtlinie und Biodiversitätsstrategie sollte man an vielen Standorten eher über einen Rückbau anstatt über erleichterte Genehmigungsverfahren für Wasserkraftanalgen nachdenken.
„Wir fragen uns wie Deutschland jemals die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie erreichen will. Nach 20 Jahren Umsetzung sind immer noch weniger als 10% der Fließgewässer in Deutschland in einem „guten ökologischen Zustand“ und wir sehen auch keine ernstzunehmenden Konzepte der Bundesregierung dies in absehbarer Zeit zu ändern.“, so Alexander Seggelke, Geschäftsführer des DAFV.
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